Gian Häne (*1979, aufgewachsen in Davos) lebt und arbeitet in Chur. An der Hochschule Luzern studierte er von 2000 bis 2005 Bildende Kunst und absolvierte von 2008 bis 2010 den Masterstudiengang Kunst im Öffentlichen Raum.
Reise ins Land der Inspiration
Unterwegs mit Gian Haene – eine Reportage
von Mathias Balzer
In der Einfahrt zum lauschigen Hinterhof steht ein tannengrüner Toyota Corolla, Baujahr 2000, gefahrene Kilometer: 250’000. Im Gepäckraum liegt ein Satz Reifen, auf der Rückbank Tüten, Taschen und Fischerutensilien. Die Frühlingssonne vertreibt die kühle Morgenluft. Es ist Anfang Mai. Trotz Corona-Lockdown haben Gian Haene und ich beschlossen, in die Berge zu fahren. Zum Fischen, so die ursprüngliche Idee, aber es ist ja die Zeit, in der sich Pläne auflösen wie Wolken im Wind. «Ich möchte dir das Sertig zeigen», hatte Gian am Vorabend am Telefon gesagt. Nun sitzt er in seinem Toyota und spricht durchs offene Fenster mit Claudia Pagelli. Sie kommt im Hinterhof vorbei, um die Eierlieferung einer Bäuerin aus der Region abzuholen. Claudia und ihr Partner Claudio betreiben eine weltweit renommierte Gitarrenwerkstatt in Chur. Gian hat für sie die Oberfläche eines Instruments gestaltet, das an der Tokyo Art Fair 2019 gezeigt wurde. «Petri Heil», sagt Claudia. Wir fahren los, raus aus Chur, Richtung Landquart, noch unwissend, was wir von dieser Reise zurückbringen werden, Fische oder Gedanken, oder beides.
Sertig trifft auf Suiseki
Von Davos nach Luzern – eine Künstlerjugend
von Thomas Kaiser
Schwarze Limousinen fahren vor, Bodyguards steigen aus, sichern die Umgebung und das Haus, das Hilde und Klaus Schwab in Clavadel besuchen wollen. Kathrin Haene begrüsst den Gründer des Weltwirtschaftsforums und seine Frau nicht viel anders als jeden anderen Besuch. Mit Kaffee und natürlich mit Köstlichkeiten aus der familieneigenen Hausbäckerei.
Das Ehepaar Schwab ist wegen Kathrin und Paul Haenes Sohn Gian nach Clavadel gekommen. Respektive wegen der Arbeiten des 1979 geborenen Künstlers. Die Schwabs wissen wohl, was sie im Falle von Gian Haene erwartet: niemand, der ihretwegen in den schwarzen Anzug steigt, und keiner, dem kurze Hosen oder Bergschuhe peinlich wären. Gian Haene ist, wie er manchmal sagt, «halt eben einfach der Gian». Einer, der Menschen überhaupt gern mag, und keiner, der sich je nach Mensch anders gibt, als er eben ist.
Vom Atelier zur Ausstellung
Wie Gian Haene arbeitet und was ihn antreibt – ein Gespräch
Thomas Kaiser
TK: Gian, deine Grossmutter erinnerte sich oft an eine «dunkle, etwas seltsame Gestalt»; an Ernst Ludwig Kirchner. Ab 1923 wohnte der expressionistische Künst ler ja auch in der Nähe, im Haus auf dem Wildboden am Eingang zum Sertig. Wann hast du erstmals Werke von Kirchner gesehen?
GH: Meine Grossmutter hat natürlich früh mitbekommen, dass ich alles bekritzelte, dass ich gern zeichnete und malte. Gerade auch im Sommer, wenn ich mit ihr und dem Grossvater in dessen Jagdhütte im Flüelatal war. Erzählt wurde tatsächlich, dass Kirchner den Leuten etwas seltsam vorgekommen ist, wenn er etwa an einem Zaun herumgeschnitzt hat. In der Wohnung der Grosseltern hing damals auch ein «Kirchner»; eine Lithografie war das wahrscheinlich und es gab noch anderes, das vom Künstler stammte. Ein Grund dafür war, dass meine Grossmutter Kirchner mit Eiern belieferte und er ihr Zeichnungen als Zahlung gab. Die Werke wurden mitunter für besondere Zwecke gebraucht: Im WC sollten sie etwa die Zugluft und die Kälte abhalten ... Später haben wir nach solchen Werken gesucht, aber keine mehr gefunden. Werke von Kirchner kannte ich wohl schon früh, aber ich sah sie wohl mit kindlichen Augen an, nicht als Werke eines berühmten Künstlers. Mich interessierte, wie die Landschaft abgebildet war, die ungewöhnliche, aber doch auch sehr vertraute Sichtweise auf die Davoser Landschaft.